Fikreta zeigt ihrer Mutter und zwei weiteren Frauen das Haus, wo sie mit 15 Jahren vergewaltigt wurde.

»Ich habe heute noch Träume. Wenn ich nachts schlafe, scheint es, als würde ich vom Himmel fallen – von oben. Und sie jagen mich, sie rennen hinter mir her, ich renne, ich renne, ich kann nicht entkommen. Und ich fange im Schlaf an zu schreien, sagt sie.«

„Ich kam nach Pijuk, ... um Essen zu holen ... ich, Rasim Limi und Merima Sandžic ... sie gingen nach Džemat, ich ging allein durch Kucište, barfuß, auf den Zehen laufend, über die Schulter schauend, darauf achtend, dass kein Blatt zu hören war. Ich war so vorsichtig, dass mein Herz hundert Mal so schnell schlug, weil ich Angst hatte, allein durch den Wald zu gehen.

Als ich in die Nähe meines Hauses kam, ging ich auf die Straße. Auf der anderen Seite war ein Wald, dort fand ich meinen Vater und wir versteckten uns dort in seiner Hütte. Er fragte mich, wo meine Mutter sei, ich sagte, sie sei in Cerska geblieben. Meine Mutter und ich waren zusammen dorthin gefahren und haben uns erst später wiedergesehen. Wir wurden in Susica getrennt, drei Jahre lang wusste niemand etwas von irgendjemandem. Angst und Schrecken. Später erhielt meine Mutter die Nachricht, dass ich getötet worden sei, jemand kam und sagte, dass sie mich abgeschlachtet hätten.

In Cerska hatten wir nichts zu essen. Ich war nach Hause gekommen, um etwas einzupacken, die anderen seien nach Džemat gegangen und wir wollten alle am nächsten Tag zurückkehren, um Essen zu bringen. Vater sagte, es würde niemand mehr kommen, alle hätten sich im Wald versteckt.

Dann gingen wir in unser Haus, er sagte, wir werden Essen vorbereiten, ein Schaf schlachten. Wir werden es auf das Pferd laden und nach Pijuk gehen und dort mehr Essen, Mehl usw. holen. Er begann mit seinem Onkel, alles vorzubereiten. Sie schlachteten ein Schaf, packten es ein, da begann die Schießerei. Als ich auf die Hügel schaute, war da eine Armee. Wir konnten nirgendwo anders hin, es war alles umzingelt ... und dann haben sie uns alle gefangen. Ich wurde auch gefangen genommen. Sie sagten mir, ich solle hingehen und alle rufen, Vater, Onkel, ich solle sie beim Namen nennen. Sie nahmen Tanten, Leute, Kinder, Frauen aus unserer Nachbarschaft gefangen ... sie sagten mir, ich solle runterkommen und ich ging zu meinem Haus, das Haus brannte, es brannte. Ich rief meinen Vater ... Dort waren ein Bach und eine Hainbuche, ich sah ihn hinunterlaufen und rannte hinter ihm her ... Ja. Und von unten wurde auf ihn gefeuert, was ihn in zwei Hälften zerschnitt, so dass nur noch ein Bein an der Hainbuche hing... als ich das sah, schrie ich und rief ihn „Vater“ ... Ich fiel, ich fiel auf ihn. Ich wusste in dem Moment gar nichts mehr und auch nicht, was passiert war, nichts ... Ich fühlte nur, dass jemand an meinen Haaren zog. Und ich sehe einen Mann wie durch Nebel, ich sehe sein Gesicht nicht, er war ganz maskiert, ich sehe nur seine Augen, das Gewehr ist in seinen Händen, sie sind in Handschuhen, seine Finger sind nackt, schwarze Handschuhe.

Er sagt mir, ich solle gehen, er schreit, er flucht „ihr Balija (ein Slangname, der für Muslime aus Bosnien als Beleidigung verwendet wird), Motherfuckers“, er schreit: „Wir werden euch alle töten!“ Ich war so verloren, in diesem Moment wusste ich nicht, was passierte, ich ... als ich meinen Vater sah, fiel ich, ich verlor das Bewusstsein.
Sie schrien mich an: „Weißt du jetzt, wo Hasib Kolarevic sich versteckt, wo er die Waffe versteckt hat?“ Ich sagte, ich wüsste es nicht. Sie riefen: „Du gehst mit uns zu Hasibs Haus!“, und wir betraten die Scheune... er sagte mir, ich solle auf den Dachboden klettern, er folgte mir und hielt das Gewehr. Unten in dem Stall war ein Kalb und er schrie mich an: „Siehst du dieses Kalb, ich werde dich hier wie dieses Kalb schlachten, wenn du uns nicht sagst, wo Hasib Kolarevic sein Gewehr versteckt!“ „Ich weiß es nicht“, wiederholte ich. Und als wir nach draußen gingen, wollte sich einer unserer Männer in den Wald schleichen, um zu fliehen. Er entdeckte ihn und gab einen Schuss ab.

Weit oben sehe ich wieder die Tanten, die gefangen genommen wurden, alle auf dem Hügel sitzen ... Ich kam zu diesem Hügel, die Gewehre waren aufgereiht, die Serben setzten sich hin, um sich auszuruhen, und ich, damals noch ein Kind ... ich schaute auf diese Gewehre und sagte mir: „Ich werde dieses Gewehr nehmen und sie alle töten.“ ... Es war mir egal, was mit mir geschehen würde, es war so schwer für mich, als ich meinen Vater sah, ich war so müde von allem ...

Ich wollte ein Gewehr nehmen, ein Gewehr greifen. Mutter sagte später, wenn ich es versucht hätte, würde ich auch nicht überlebt haben. Aber es war als hätte mir jemand gesagt - tu es nicht ... Wir gingen zu Ivans Haus, ich war barfuß, hatte nichts zum Anziehen, nur Angst. Ich sah Mile Rebic, meinen Nachbarn, mit einem Gewehr, er stand da und fragte mich: „Wohin gehst du?“ Ich sagte, ich gehe zu Ivans Haus. „Geh da rein, zu Ramos Haus, such’ dir was zum Anziehen“. Als ich dort ankam, hatte jemand einen Hund im Schrank eingesperrt, ich bekam Angst wie ein kleines Kind. Ich öffnete den Schrank, der Hund winselte, ich hatte Angst. Ich sterbe, dachte ich, ich zitterte am ganzen Körper. Ich kam raus und ging zu Ivans Haus, Frauen, Kinder, Schreie, alles, alles war verbrannt, es schien mir, dass keine Katze mehr da war, sie haben alles gefangen genommen und getötet, sogar Hunde vor den Häusern, einfach alles.

Wir saßen in Ivans Haus. ... Kinder schrien, weinten, einige Leute kamen, Zoran aus Piskavica, Vojin, kam und nahm meine Tante mit, um einen Scharfschützen zu testen, er sagte ihr, sie solle 15 Meter nach vorne gehen... Ihre Kinder waren klein, sie fingen an zu weinen.

Jemand sagte zu ihm, er solle sie gehen lassen und „Erschießt sie nicht, ihr seht, dass die Kinder weinen, wir werden auch anders mit ihnen fertig“. Als die Tante zurückkommt, sagt sie, ihm gegenüberstehend, „Wir waren bis gestern Nachbarn und heute tötest du uns.“

Dann brachten sie uns nach Sušica, es waren so viele Leute da, man konnte keine Streichhölzer werfen, so voll war es ... ... Dann kam Dragan Nikolic, er sagte zu mir: „Weshalb weinst du?“ Ich sagte ihm: „Ihr habt meinen Vater getötet.“ Er sagte mir: „Wir werden euch alle töten.“ Ich weinte, ich schluchzte, als er mir mit dem Gewehrkolben auf den Rücken schlug. Und ich schwieg. Was sollte ich tun? Der, den ich am häufigsten gesehen habe, war Dragan Nikolic. Er war alles da drinnen, er befahl, er sagte, wer was wo machen sollte. Einmal kam Dragan Nikolic herein und schrie mich, Zikret und Meho Sinanovic an, nach Sušica zu gehen, um muslimische Häuser auszurauben. Er sagte: „Gold, Geld ...was immer ihr findet, bringt es uns hierher“. Und wir gingen von Haus zu Haus, alles war umgestürzt, auf den Kopf gestellt. Wir suchten und konnten nichts finden. Ich sagte, selbst wenn ich etwas finden würde, würde ich es nicht mitnehmen, ich werde nichts mitnehmen, ich werde einfach herumlaufen. Ich sagte zu Zikret: „Was meinst du, lass uns von hier fliehen.“ „Wir können nirgendwohin fliehen. Wir sind umzingelt.“ Ja, das war alles. „Lass uns zurückgehen“, sagte er, „Was immer Gott will, es wird sein.“

Und wir sind mit nichts zurückgekommen. „Habt ihr etwas gefunden?“ „Nichts“. Sie untersuchten uns: „Hebt die Hände, knöpft dies auf, knöpft das auf“, er durchsuchte uns bis zur Unterwäsche, um zu prüfen, ob wir nicht etwas Geld, irgendetwas in unserer Hose versteckt hatten. „Öffnet euren Mund“, sie suchten nach Gold.

Ja ... wir sahen ihnen beim Morden zu, und ich sah Galib Muslic, als sie ihn und andere töteten. Er wurde geschlagen, ich sagte, der Mann hätte ein gesundes Herz, dass er so viele Schläge aushalten könnte, und am Ende landete er auf dem Pelemiš, um von Pferden zerrissen zu werden. Ein Bein wurde von einem Pferd mit einem Seil gefesselt und das andere von einem anderen Pferd, er wurde von Pferden zerrissen, lebendig.

Wir verbrachten dort 22 Tage, sahen allen möglichen Morden, Entführungen, Vergewaltigungen und Tötungen zu, hatten nichts zu essen, lagen auf dem Beton ...

Ich werde das Bild nie mehr aus dem Kopf bekommen, als Tschetniks mich vom Lager zu dem Haus brachten. Und als wir dort ankamen, bin ich hineingegangen, bin die Treppe hinaufgegangen. Der Tschetnik sagte: „Geh da rein“. Ich sollte mich ausziehen. Ich stand da und mir liefen die Tränen übers. Gesicht, ich hatte keine Worte mehr, ich durfte nichts mehr sagen. Ich zitterte nur noch. Er hat mir alles vom Leib gerissen, er hat mich vergewaltigt, er hat mir gesagt: „Hör mir jetzt zu, der andere Mann kommt auch.“ Ich wurde bewusstlos, ich weiß nicht mehr, was passierte. Der andere kam rein und hat sich auch ausgezogen, und er hat mir gesagt, ich soll das mit ihm machen. Es fällt mir schwer, das zu erzählen. Er befahl mir, es zu tun, ich musste es tun. Für mich ging es um Tod oder Leben, ich wusste nicht, was ich mit mir anfangen sollte. Ich war in ihren Händen. Als ich zurückgebracht wurde, war ich verloren. Ich betrat das Lager, ich sah niemanden, es wurde dunkel vor meinen Augen. Ich wurde wieder ohnmächtig, mir war übel, ich kann es euch nicht erklären, mein Körper zitterte. Ich zitterte am ganzen Körper, ich konnte nicht verhindern, dass meine Hände zitterten, meine Hände zitterten vor Angst. Ich bin dorthin gekommen, ich konnte meiner Mutter (in der Zeit auch in Susica) nicht sofort etwas sagen. Sie sah, dass es mir nicht gut ging, sie sah, dass ich wahnsinnig wurde. Ich habe mich neben sie gesetzt, ich habe sie um ihren türkischen Salvar (traditionelle weite Hose) gebeten und ihr erzählt, was passiert ist.

Ich habe ihr gesagt, dass sie nicht darüber reden soll, weil sie mir gesagt haben, dass ich es niemandem erzählen darf, und wenn mich jemand fragt, was passiert ist, sollte ich sagen, dass ich zum Kaffeekochen geholt wurde... Ja. Wenn ich gefragt wurde, wohin ich gegangen bin, sollte ich sagen, dass ich Kaffee für ihre Armee kochen gegangen bin.

Und dann haben sie mich das zweite Mal rausgeholt... Ich konnte ihr wieder nicht gleich sagen, was passiert war. Sie sah, dass ich in die Irre gegangen bin (verrückt wurde), dass ich den Faden verloren habe. Sie fragt, was los ist, und ich flüsterte ihr zu, sie solle still sein, nicht reden, und dass sie mich vergewaltigt haben.

Und sie fing an zu weinen, und ich sagte ihr, sie solle den Mund halten, nicht weinen, es würde jemand merken, jemand käme herein, sie müsse dann erzählen, weshalb sie weine, und was würden sie dann tun - noch Schlimmeres. Ich habe heute noch Träume, meistens träume ich davon, durch die Wälder zu rennen, das ist mein ewiger Traum: rennen, die Geräusche, die Schreie der Frauen, der Kinder hören... daran erinnere ich mich am meisten und an das Rennen in den Wälder und alles andere... wenn ich nachts schlafe, scheint es,
als würde ich vom Himmel fallen, von oben. Und sie jagen mich, sie rennen hinter mir her, ich renne, ich renne, ich kann nicht entkommen, und ich fange im Schlaf an zu schreien. Das bleibt einem das ganze Leben lang erhalten. Das kann man nicht löschen ... die Sachen von Pijuk werden mir nie aus dem Kopf gehen. Es ist eingraviert, ich war damals 15 Jahre alt. Ich habe gesehen, was ich gesehen habe. Das war‘s, Entsetzen und Schrecken.