»Sexueller Missbrauch und Vergewaltigungen fanden meistens nachts statt. Später brachen mehrere von uns Frauen ihr Schweigen und sprachen mit Ermittlern des Tribunals in Den Haag und gaben ihnen Informationen. Nachdem die Täter nach zwei Dritteln ihrer Strafe in ihre alte Umgebung zurückkehrten, gelten sie immer noch als Helden« erzählt Nusreta in Trnopolje. Sie war 1992 in Prijedor in einem Lager interniert.
Ja, leider hatte ich 1992 das Pech, in eines der Prijedor-Lager, Omarska, gebracht zu werden. Ich war die erste Frau aus Prijedor im Lager. In meiner 2-monatigen Gefangenschaft erhöhte sich diese Zahl der Frauen im Lager auf 37 bei insgesamt ca. 3.500 Gefangenen.
Alles funktionierte nach Plan und Programm, es geschah nicht zufällig, es geschah nicht über Nacht. Die meisten, die dort arbeiteten, waren von der Polizei. Das Crisis Management Committee (CMC) übernahm in dieser Zeit die Rolle der Zivilbehörde in Prijedor und entwickelte die Lagerstruktur in den Räumlichkeiten des ehemaligen Bergwerks mit Lagerverwaltung, Schichtführern, Wachen etc ....
Heute sind die Örtlichkeiten für die Öffentlichkeit nicht zugänglich. Sie wurden zu Büros umfunktioniert, wo Mitarbeiter der heutigen Firma Acelor Mittal arbeiten. Jedes Jahr am 6. August besuchen wir das Lager Omarska, doch wir konnten nie in diese Räume gehen, um Blumen für die fünf ermordeten Frauen zu hinterlassen.
Wir Frauen waren in zwei Räumen über dem Restaurant untergebracht. Wir erledigten von dort aus unsere täglichen Aufgaben rund um das Restaurant, hauptsächlich körperliche Arbeiten: das Essen an die Gefangenen im Lager verteilen, Geschirr spülen, schrubben, putzen... was die Wachen uns befahlen. Dann kamen wir nach dieser Arbeit, die von morgens bis abends dauerte, in unsere Schlafräume. Schlaf gab es eigentlich nicht... sexueller Missbrauch und Vergewaltigungen fanden meistens nachts statt.
Tagsüber wurden diese Räumlichkeiten für Verhöre von Häftlingen im Lager genutzt. Die Ermittler verhörten den ganzen Tag Häftlinge und sie schlugen manche zu Tode. Der Boden und die Wände waren also mit Blut bedeckt. Wir mussten sie reinigen, um dort übernachten zu können. Wir fanden oft blutige Kleidung von Menschen, Foltergeräte, die während der Verhöre verwendet wurden. Und wir konnten das alles im Restaurant hören, Leute schrien, heulten und weinten ...
Also, wie gesagt, mussten wir die Räume zuerst reinigen, damit wir die Nacht auf dieser Etage verbringen konnten. In diesem Stockwerk, wo wir wohnten, gab es alle möglichen Räumlichkeiten, also auch einen Raum für nächtlichen sexuellen Missbrauch. Meistens kamen sie während der Nacht, entweder die Wachen oder andere Männer des Lagerpersonals. Sie holten Frauen aus den Zimmern ... und waren nicht wirklich wählerisch. Unter den 37 Frauen waren Frauen jeden Alters, von jungen Frauen, Studentinnen bis zu Frauen, die bereits im Ruhestand waren.
Die Frauen sprachen nicht miteinander darüber, was in der Nacht mit ihnen geschah ... Es herrschte Stille. Es war die Angst, die uns blockierte. Wir hatten Angst, dass es Abhörgeräte gibt.... Wir haben einander nichts davon erzählt. Besonders schlimm war, wenn ich hörte, wie andere zurückkamen... Diese Hilflosigkeit war ein schreckliches Gefühl, weil man alles sieht, aber nichts ändern kann. Da würde man nur Gefahr laufen, endgültig hingerichtet zu werden. Ich zum Beispiel, ich habe mir selbst eine Aufgabe gestellt... (Nusreta hat sich während der Zeit im Lager alles sehr gezielt gemerkt, um später vor Gericht gegen die Täter aussagen zu können. Anmerkung der Autorin)
Es gab Momente, in denen du siehst, dass du nicht überleben kannst. Dann wünschst du dir eine Option des Todes, die schnellste, von einer Kugel getötet zu werden oder auf natürliche Weise zu sterben. Die Situation änderte sich stündlich, und man wusste nie, was der neue Tag morgen bringen wird. Dann hoffst du, vielleicht überlebt das jemand und wird eines Tages darüber sprechen, damit jeder weiß, was in Omarska passiert ist. Fünf Frauen haben Omarska nicht überlebt, sie wurden hingerichtet und nach dem Krieg in Massengräbern gefunden. Ihre Geschichte wird nie gehört werden.
Es gibt Angst, Trauma, Angst davor, wie die Familienmitglieder ihre Einstellung ändern, wenn sie es erfahren ... wir sind aus diesem Umfeld. Also dachten viele, dass Schweigen das Beste für sie sein könnte ... Das bedeutet nicht, dass sie nach all dieser Zeit nicht doch sprechen werden. Es war normal, es nicht zu tun, also zu schweigen.
Wenn Sie sich jeden Tag in einer so schrecklichen Umgebung befinden, wo Sie jeden Morgen das Blut sehen und mit dem Zählen der Toten den Tag beginnen, einen klaren Blick durch die großen Fenster des Restaurants auf das weiße Haus, das Folterzentrum des Lagers und den Rasen davor haben, prägt das die Gesamtatmosphäre.
Später gaben mehrere von uns Frauen Informationen und sprachen mit Ermittlern des Tribunals (Den Haag, ICTY). Wir gaben Informationen, damit sie ein vollständigeres Bild bekamen. Das half, und die Arbeit des Haager Tribunals begann mit der Eröffnung von Akten über das Lager Omarska.
Eines Tages, es war der 3. oder 5. August, wurden einige Frauen in ein anderes Lager nach Trnopolje verlegt. Zu dieser Zeit war Radovan Karadžić Präsident der Republika Srpska. Er war bei den Friedensverhandlungen in London. CNN und ITN, Penny Marshall vom Internationalen Roten Kreuz, Ed Vulliamy, der damals für den britischen Guardian arbeitete, bestanden darauf, in das Lager Omarska zu kommen, weil es Gerüchte gebe, dass es in der Nähe von Prijedor ein Lager gebe, in dem Menschen auf schreckliche Weise gefoltert und Frauen vergewaltigt wurden.
Karadzic sagte, es sei eine Lüge, es sei nicht wahr. Sie bekamen die Erlaubnis und kamen ins Lager ... das waren diese legendären Bilder von lebenden Skeletten, die man (angeblich, C.S.) hinter dem Drahtzaun sehen kann. Die Lagerleitung und das CMC in Prijedor wussten von dem bevorstehenden Besuch der Journalisten, deshalb wurden wir Frauen in ein anderes Lager nach Trnopolje verlegt. So wurden wir vor der Öffentlichkeit versteckt, da Karadzic erklärt hatte, dass es keine Frauen in Omarska gab.
Er hatte den Journalisten in London die Erlaubnis gegeben, aber nicht damit gerechnet, dass sie noch am selben Abend den nächstmöglichen Flug nehmen und über Belgrad vor Ort sein würden. Die Videos dazu stammen vom 5. August 1992. Es hat in gewisser Weise geholfen... auch wenn bereits eine Anzahl von Häftlingen nach Trnopolje und ein Teil nach Manjaca verlegt worden waren. Nur ein Teil blieb im Lager und wurde dort gefilmt, als das Internationale Rote Kreuz mit Fernsehteams nach Omarska kam.
Ich weiß es nicht genau, wie viele später darüber gesprochen haben oder vor Gericht ausgesagt haben; einige sind gestorben, als sie alt und krank wurden. Aber die Zahl der Zeugen reichte aus, um zu beweisen, dass Omarska als eines der brutalsten Lager in Ex- Jugoslawien eingestuft wurde... Es gibt einen Absatz im Urteil zum sexuellen Missbrauch von Frauen. Allerdings gab es im Omarska-Prozess keine gesonderte Anklage für Vergewaltigung.
Von den Verantwortlichen des Lagers Omarska wurden, ich weiß nicht genau, 14 oder 18 Männer angeklagt... viele, die größte Zahl, nicht nur die Angeklagten, sondern auch die Verurteilten stammen aus Prijedor. Ich mag es nicht, Daten oder Zahlen zu verwenden, ich bin immer sehr vorsichtig damit ... aber es ist kein Problem, im Internet herauszufinden, wie viele in Prijedor verurteilt wurden. Einige der Angeklagten akzeptieren die Schuld vor dem Tribunal und dem Gericht von Bosnien und Herzegowina, meistens leugneten sie ... sie leugnen normalerweise.
Inzwischen sind viele wieder aus dem Gefängnis... Einige von ihnen kamen wieder frei, nachdem sie zwei Drittel ihrer Strafe verbüßt hatten. Das sind die Regeln. Einer der verantwortlichen Wachleute bekam 20 Jahre Gefängnis. Die Bestrafung... das ist es, was die Zeugen wirklich abstößt, besonders, wenn man ein Opferzeuge ist, da die Länge der Strafe nicht die Schwere des begangenen Verbrechens widerspiegelt. Aber für mich ist es wichtig, dass er verurteilt wurde. An einem Punkt wird das extrem wichtig sein. Normalerweise sage ich, dass es sehr schwer ist, an den Ort zurückzukehren und dort zu leben, wo man all diese schrecklichen Dinge erlebt hat. Weder Politiker der Republika Srpska, noch die einfachen Bürger oder Intellektuelle haben sich von den Verbrechen distanziert oder sie verurteilt. Nachdem die Täter nach zwei Dritteln ihrer Strafe in ihre alte Umgebung zurückkehrten, gelten sie immer noch als Helden. Viele dort glauben, dass sie fälschlicherweise beschuldigt wurden und leugnen die Berechtigung des ITCY in Den Haag. Meistens haben die aus dem Gefängnis entlassenen Täter sofort Jobs, viele der Verurteilten standen noch auf ihrer alten Gehaltsliste, sie erhielten das Gehalt der Betriebe, in denen sie bis zum Prozess arbeiteten.
Sie haben meistens die Unterstützung der örtlichen Gemeinschaft. Aber Frauen nicht... natürlich. Das sind die Paradoxien, absurd, schrecklich, aber so ist es leider. Es gibt viele Frauen, die sich entschieden haben, nicht zurückzukehren, sie wollen nicht einmal zu Besuch kommen. Ich bin 2002 nach Prijedor zurückgekehrt, zehn Jahre nach dem Lager. Am Anfang war es schrecklich. Ich dachte auch, dass ich es hier nicht lange aushalten könnte, aber mit der Zeit habe ich mich daran gewöhnt. Ich habe keine Angst. Ich war ein Flüchtling in Kroatien in Zagreb und glaubte, dass der Krieg bald zu Ende sein würde. Bevor ich endlich zurückgekehrt bin, kam ich zu Besuch, um mein Eigentum zu sichern, wie alle anderen, die durch all diese Bürokratiebüros gingen. Meine Nachbarn sahen mich kommen, aber als sie merkten, dass ich wirklich hier leben wollte, grüßte mich kaum noch jemand. Sie haben es wahrscheinlich nicht geglaubt. Einmal schrieb jemand Omarska neben meine Tür. Große Buchstaben. Größere Probleme hatte ich aber zum Glück nicht. Allerdings ist die Situation jetzt anders. Ich habe mich daran gewöhnt, hier zu leben. Am Anfang war es nicht angenehm, ich dachte wirklich, ich schaffe das nicht. Du triffst Leute, die im Lager gearbeitet haben, Vernehmungsbeamte, keiner von ihnen ist bis jetzt zu einem Prozess vorgeladen worden... du triffst sie auf der Straße... Menschen, von denen du weißt, was sie während des Krieges getan haben... die getötet haben, gestohlen, vergewaltigt.... Aber wie die Zeit verging ... ich bin nun seit zwölf Jahren in Prijedor. Serben sind heute die überwiegende Mehrheit, wir Bosniaken eine Minderheit. Die Menschen leben meist in den Dörfern in dieser Gegend, in die sie zurückgekehrt sind.
Ja, ich weiß von einem Fall, der vor dem Weißen Haus tagsüber in Omarska passiert ist: sie haben einen respektablen Mann aus Prijedor gezwungen, eine Frau vor dem Weißen Haus zu vergewaltigen. Beide haben nicht überlebt. Er wurde in einem der Massengräber gefunden, sie ebenfalls. Es war schrecklich an diesem Tag, als sie Mehmedalija Sarajlic zwangen, eine der weiblichen Häftlinge, Hajra Hadzic, vor dem Weißen Haus zu vergewaltigen. Andere Fälle habe ich nicht gesehen, aber wahrscheinlich sind sie passiert.
Ich würde als verantwortliche Richterin (Nusreta arbeitete bis zum Krieg als Richterin, C.S.) versuchen, objektiv zu sein, mich an die Gesetzgebung zu halten. Andererseits hat man als betroffene Frau einen inneren Kampf damit, objektiv zu sein... im Beruf, besonders, wenn man Richterin ist, muss man diese Emotionen heraushalten.
Leider gibt es in Den Haag kein Todesurteil. Es gibt die lebenslange Haftstrafe, aber soweit ich weiß, hat sie noch niemand bekommen. Ich würde trotzdem versuchen, ein Profi zu sein, egal wie ich mich fühle und was ich jetzt darüber denke.